PlatonAristotelesEpikurSpinozaLockeKantHegelMarxAdornoMarcuseBloch

         Erinnyen Logo   logoerinnyenaktuell     

Erinnyen AktuellPhilosophieseiteSchuledialektik InternetkurseDialektikvereinBuchladenWeblog / TagebuchRedakteur privat


Startseite Logo
Aktuelles Logo
Ethik und Moral Logo
ideologiekritik Logo
Soziales Logo
Politik Logo
Öffentlichkeit
kultur kunst buttom
Rezensionen Button
Button Medienstartseite
Archiv Logo
Kontakt/Links Logo
Über uns Botton

NewsletterAnmelgung

RSS-Feed Botton

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rezensionen

von Karl Apel (überwiegend affirmativ) und

von Peter Schlumichel (überwiegend destruktiv)

über das Buch von

Bodo Gaßmann:
Moral als geistige Waffe gegen das kapitalistische System. Eine Streitschrift in fünf Akten
Garbsen 2025 (300 Seiten, Paperback, 21,- €)

Erste Rezension von Karl Apel:

Der Autor Bodo Gaßmann ist seit 30 Jahren bekannt durch seine ethischen Werke, die eine Verbindung von Kants Moralphilosophie mit der Kapitalanalyse von Karl Marx herstellen. Sein neuestes Werk hat er rhetorisch gegliedert, d. h. konkret nach den fünf Akten eines Dramas. Im Ersten Akt stellt er das dar, was die heutigen Probleme sind: Die drohende Klimakatastrophe, den Handelsimperialismus der BRD und seine ideologische Absicherung durch den „ethischen Imperialismus“ mit seiner Doppelmoral. Zugleich zeigt er in Exkursen zur Marxschen Kapitalanalyse die tieferen Gründe auf, wie z. B. den Zwang zur Kapitalakkumulation, die zu diesen Problemen führen. Wenn der Kapitalismus zu einem System zusammengeschossen ist, alle Produktions- und Distributionskreisläufe miteinander verzahnt sind und bei aller Konkurrenz ineinander greifen, dann kann nicht nur das einzelne Problem dieses Wirtschaftssystems für sich analysiert und kritisiert werden. Das führte zu einer Verzettelung der Konzentration auf isolierte Phänomene ohne Alternative. Es bedarf eines universalen kritischen Maßstabs. Dieser wird im Zweiten Akt mit Marx und Kant bestimmt, also die Frage beantwortet: Was soll sein? Was sind die kritischen Prinzipien jenseits des kapitalisti­schen Systems als Maßstab und Ziel der Veränderung? Die marxsche Kapitalanalyse hat implizit und explizit diesen Maßstab, wenn er von der Verdinglichung spricht, dass die Arbeitskraft zu einer Maschine zur Produktion von Mehrwert herabgewürdigt wird, eine Tatsache, die auch in den erzählenden und historischen Passagen offensichtlich gemacht wird. Dieser Maßstab ist von Kant begründet worden („Werdet nicht die Knechte anderer Menschen.“) – auch wenn Marx sich nicht explizit in seiner Analyse auf Kant bezieht.
   Die naive Frage, wie dieses Moralgesetz, keinen Menschen zum bloßen Mittel zu machen, sondern immer auch als Zweck an sich selbst zu behandeln, begründet werden kann, beantwortet Gaßmann mit stringenten Argumenten Kants. Die technische oder instrumentelle Vernunft ist unbestritten, weil sie die notwendige Voraussetzung der technischen Zivilisation und ihrer Produktivität ist. Jede naturwissenschaftliche Erkenntnis und jede Anwendung dieser folgt einem Interesse oder Zweck – deshalb ist eine praktische Vernunft notwendig, die jenes Interesse und jene Zwecke der Anwendung reflektiert und letztlich bestimmen sollte. Da sie idealerweise die Zwecke bestimmen sollte, die wir technisch realisieren, hat die praktische Vernunft den Primat über die instrumentelle – oder sollte sie doch rationaler Weise haben. Da die kapitalistische Produktionsweise von verselbstständigten Mechanismen wie dem Zwang zur Kapitalakkumulation beherrscht wird, wird die ganze Gesellschaft zum bloßen Mittel dieser Ökonomie. Gaßmann begründet den Maßstab dieser Kritik mit Kant pragmatisch, philosophisch und ontologisch. Keiner möchte freiwillig zum bloßen Mittel werden (wie ein Sklave), also sollte er auch keine anderen zum bloßen Mittel machen. Dieses pragmatische Argument gilt auch für bzw. gegen die heutige Klassengesellschaft insgesamt. Philosophisch ist der Mensch ein Zwecke setzendes und Zwecke realisierendes Wesen, also sollte er immer auch als Selbstzweck behandelt werden und andere behandeln. Er hat weiter ein ontologisches intelligibles Substrat in sich, das wir zwar nicht positiv bestimmen können, das aber angenommen werden muss, insofern wir die Fähigkeit zur Vernunft in Theorie und Praxis haben. Auch dieses negativ ontologische Argument begründet das Moralgesetz. Da der Kapitalismus als System universal das heutige Leben bestimmt, kann auch nur ein universales Prinzip, das Moralgesetz, der Maßstab der Kritik an diesem System sein. Das Moralgesetz wird dann zum kategorischen Imperativ, der die Abschaffung dieses Wirtschaftssystems verlangt. Jeder bloß partikulare Maßstab kann nur zum Reformismus führen, der den Kapitalismus stabilisiert, also die Probleme dieses Wirtschaftssystems perpetuiert mit den bekannten katastrophalen Folgen. Hier glaube ich, ist das stärkste Argument des Autors ausgedrückt.
   Der Dritte Akt fragt nun, warum sich das Prinzip der praktischen Philosophie in der Gesellschaft nicht durchsetzt? Ein wichtiger Grund dafür ist der Antimoralismus der Rechten, der u. a. auf Carl Schmitt, dem geistigen Vater der Neuen Rechten zurückgeht. Eine Rechte, die mit ihrer reaktionären Ideologie die kulturelle Hegemonie anstrebt. Für Schmitt gibt es nur instrumentelle Vernunft, Zwecke und Moral, falls sie benötigt wird, setzt der Monarch oder der autoritäre Führer („Dezisionismus“). Für Schmitt gibt es kein wissenschaftliches Subjekt, auf dem das moderne Denken beruht, nämlich die Menschheit in uns, sondern dieser Begriff ist für ihn Betrug. Sein Subjekt ist das ethnisch reine Volk, das Vaterland, die Nation. Entsprechend ist für ihn alles Denken bloß partikular. Im Zusammenhang mit seiner Bestimmung des Politischen, d. h. der Unterscheidung von Freund und Feind, führt Gaßmann diese reaktionäre „Vernunft“ ad absurdum. Im Zusammenhang mit der atomaren Waffentechnik muss diese Reduktion der Vernunft in Verbindung mit der Bestimmung der anderen als Feinde notwendig zum allseitigen Krieg führen und damit zum Untergang der Spezies Mensch.
   Auch die Politik der bürgerlichen Mitte, die im Vierten Akt dargestellt wird, ist der Vernunftmoral nicht förderlich. Nicht nur dass sie das kapitalistische System mit seiner Unmoral (Herrschaft, Ausbeutung und verselbständigte Mechanismen) affirmieren, sondern sie fördern auch Tendenzen zum Ausnahmezustand, um die empfindliche Produktion abzusichern und mögliche emanzipatorische Bewegungen bekämpfen zu können. Als Vorwand dienen ihnen dabei isolierte individuelle Terrorakte, die fast wie auf Bestellung vor Gesetzesverschärfungen passieren. Der Rechtsstaat mit seinen Freiheitsrechten wird untergraben. Der Verfassungsschutz schützt nicht die Demokratie, sondern die jeweilige Regierungspolitik, und die Polizei bekommt immer mehr Kompetenzen. Trotzdem plädiert der Autor für die Verteidigung des bürgerlichen Rechtsstaates, weil er allein die Luft ist, in der emanzipatorische Bewegungen sich entfalten können. Anhand von Beispielen werden auch die Tendenzen zur Oligarchie, die Entwicklung zu Superreichtum mit ihren Monopolen und deren Einfluss über Lobbyismus und Korruption auf die Politiker kritisch analysiert.
   Sind das die Bedingungen, unter denen emanzipatorische Bewegungen agieren müssen, deren emanzipatorisches Moment sich am Kampf auch für das Moralgesetz offenbart, dann kommt es darauf an, nicht auf bürgerliche Politikweisen aufzusitzen. Der Gegner oder gar Feind sind nicht Personen, sondern das kapitalistische System, wie der Autor im Fünften Akt zeigt. Das verbietet es, zu moralisieren, Lügen zu verbreiten, Propaganda und Überredung zu betreiben, weil sie den Anderen, der immer auch die Menschheit (als Vernunft) in sich hat, zum bloßen Mittel machen würden. Der Autor plädiert für das, was er moralische Aktion nennt, indem er sich deren Problematik durchaus bewusst ist. Vorbild ist für ihn der „Dreigroschenprozeß“ von Bertolt Brecht um 1930, bei dem Brecht die bürgerliche Moral und das bürgerliche Recht sich selbst ad absurdum führen lässt. Wenn 800 000 Reichsmark gegen „geistiges Eigentum“ stehen, dann siegt das Geld und nicht das Recht oder die Moral. Brecht hat dabei zwei Grundsätze, die auch für moderne moralische Aktionen gelten: einmal soll bei diesen Aktionen, die Karl Korsch in diesem Fall juristische Aktion genannt hat, nicht ständig jedes Detail moralisch bewertet werden, sondern erst das Resultat der Enthüllung. Zweitens ist die Absicht nicht die Verbesserung der Rechtslage oder der Moral im Kapitalismus, sondern dieser soll „getötet“ werden, weil er nicht von selbst stirbt. Entsprechend beurteilt Gaßmann heutige moralische Aktionen, wie zivilen Ungehorsam, Klimaproteste, „Black Lives Matter“, „Frau Leben Freiheit“ usw. Dabei soll immer der Zusammenhang zum kapitalistischen System und der Verstoß gegen das Moralgesetz deutlich werden. Am Schluss reflektiert er den heutigen Pazifismus und weist auf seine Problematik zwischen notwendiger Verteidigung gegen einen Aggressor (die französische Resistance gegen die Wehrmacht) und imperialistischer Kriegstreiberei (wie 1914 in Deutschland) hin, eine Problematik, die auch westliche Demokratien betrifft (wie etwa den Ukraine-Krieg).

Der Rezensent muss gestehen, dass ihm das Buch von Gaßmann etwas ratlos zurücklässt. Auch wenn er die Argumentation nachvollziehen und akzeptieren kann, fällt das Thema und die Intention des Werkes von Gaßmann doch irgendwie aus der Zeit. Schon die Analyse von Fehlentwicklungen in der Gesellschaft vom Standpunkt der Totalität aus zu reflektieren und zu beurteilen, fällt aus dem Rahmen dessen, was heute in den Sozialwissenschaften und dem Mainstream auch der kritischen Philosophie üblich ist. Sie befassen sich mit immer detaillierten Problemen, den kleinsten Verwerfungen und zergliedern philosophisch die Begriffe, ohne zu reflektieren, was dies für das Ganze der Gesellschaft bedeutet. Der Gegenstand der Analyse verschwindet vor lauter Detailismus aus dem geistigen Auge. Umgekehrt könnte man Gaßmann vorwerfen, dass er pauschal Begriffe wie „Imperialismus“ oder „imperiale Lebensweise“ usw. benutzt – aber er verweist auf die entsprechende Literatur. Man kann nicht in einem Buch alles neu argumentativ absichern, dann käme man zu keinen neuen Einsichten. So sind für Gaßmann z. B. psychologische Analysen der Massen wichtig, insofern diese nicht ihren objektiven Interessen folgen, also reaktionäre autoritäre Parteien wählen, anstatt solche, die noch einen Hauch von Klassenkampf vertreten. Psychologie kann aber nicht eine philosophisch durchdachte Gesellschaftsanalyse und ihren philosophisch gesicherten moralischen Maßstab ersetzen.
   Mit Psychologie und Soziologie lassen sich die Probleme, die der Kapitalismus schafft, nicht lösen. Solche Autoren verharren in kritischer Kontemplation, ohne ihre berufliche oder publizistische Karriere zu gefährden, sie benutzen ein Schlupfloch, weil die herrschende Klasse ihre Ideologien im Pluralismus der Meinungen mittels repressiver Toleranz verbreitet.
   Überhaupt, wenn 90 % der Menschen, bei aller Meckerei im Einzelnen, das kapitalistische System nicht abschaffen will, dann fällt die Schrift von Gaßmann aus dem Rahmen. Er erscheint als Don Quichotte, wie er selbst schreibt, der gegen die Windmühlen des Mainstreams ankämpft, ein geistiger Wind bis zum Sturm, der immer einer derjenigen ist, den die herrschende Klasse blasen lässt. Die Wohlwollenden werden diesen Don Gaßmann müde und herablassend belächeln, die Reaktionäre aller Couleur sehen in ihm den geistigen Feind ihres Projektes der kulturellen Hegemonie.
   Zugutehalten kann man dem Autor, dass er immer auch Sancho Pansa ist, ein Realitätsbewusstsein um die mangelnde Wirkung der Vernunftmoral hat, die sich kaum in der nächsten Zeit bessern wird. Wenn Koselleck, ein Schüler von Carl Schmitt behauptet, die Moral habe den „schönen“ Absolutismus im 18. Jahrhundert zerstört, was nicht stimmt, so hat sie doch als Aufklärung zur teilweisen Zivilisierung der bürgerlichen Politik langfristig gesehen, beigetragen. Aber Gaßmann sieht, dass zur Moralisierung eine Massenbewegung gehört, deren materielles Interesse sich mit der Idee der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen verbindet. Und Gaßmann alias Sancho Pansa und Don Quichotte wissen, dass jede Bewegung einmal als Idee anfängt, bevor daraus ein breiter Strom wird.

Zurück zum Anfang

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Weitere Internetseiten und unsere Internetpräsenz im Detail:

Archiv Logo

 

Audios, Fotos und Videos:

Medienseite Logo

Die letzten Ausgaben der Erinnyen können Sie kostenlos einsehen oder herunterladen:

Abildung Titel Erinnyen Nr. 15

Erinnyen Nr. 16 Titelbild

Erinnyen Nr. 17 Titelbild

 

Erinnyen Nr. 18
Erinnyen Nr. 18

logoNr. 19

Erinnyen20Logo

Logo Erinnyen Nr. 21

 

Erinnyen Nr. 22

Erinnyen Nr. 22

 

Erinnyen Nr. 23

Erinnyen Nr. 23

 

Nachrichten aus dem beschädigten Leben:

Tagebuch Weblog

Unsere Zeitschrift für materialistische Ethik:
Zeitschrift für materialistische Ethik Erinnyen

Unsere Internetkurse zur Einführung in die Philosophie:
Schuledialektik

Unsere Selbstdarstellung in Englisch:
Englische Seite

Die Privatseite unseres Redakteurs und Vereinsvorsitzenden:
Redakteur B. Gassmann

Unser Internetbuchladen:

Erinnyen Nr. 9 Bild

Ethiktiel Abbildung

Logiktitel Bild

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© Copyright: Alle Rechte liegen bei den Erinnyen. Genaueres siehe Impressum.

Letzte Aktualisierung:  13.04.2025

                                                                       
bbbbaaa